Die Situation: Der 16-jährige Herr Justin Herrmann stellt sich in der hausärztlichen Praxis mit seit drei Tagen bestehenden Halsschmerzen und Schluckbeschwerden vor. Er berichtet, dass er kein Fieber und keinen Husten hat, jedoch eine leichte Abgeschlagenheit verspürt. Herr Herrmann ist ansonsten gesund, nimmt keine regelmäßigen Medikamente ein und hat keine bekannten Allergien. In seinem sozialen Umfeld sind keine ähnlichen Erkrankungen bekannt.
Erster Eindruck - Was sind Ihre ersten Gedanken? Welche Erkrankungen/ Probleme kommen in Frage? Vorläufige Differentialdiagnostische Überlegungen aufgrund der anfänglichen Geschichte Aufgrund der geschilderten Symptome sind folgende Differentialdiagnosen in Betracht zu ziehen: Virale Pharyngitis/Tonsillopharyngitis: Häufigste Ursache für Halsschmerzen, oft begleitet von leichten Allgemeinsymptomen. Gruppe A-Streptokokken (GAS) - Pharyngitis oder Tonsillopharyngitis: Klassische Symptome wie Halsschmerzen und Schluckbeschwerden ohne Husten oder Fieber. Infektiöse Mononukleose: Typisch bei Jugendlichen, könnte durch leichte Abgeschlagenheit unterstützt werden. Epiglottitis: Ernsthafte, aber seltene Ursache, die normalerweise mit hohem Fieber und Atemnot einhergeht. Scharlach: Ein klassisches Bild mit Halsschmerzen und charakteristischem Exanthem. Kawasaki-Syndrom: Systemische Vaskulitis, die mit Fieber und Schleimhautveränderungen einhergeht. Diphtherie: Selten, aber ernst, mit Pseudomembranen und süßlichem Mundgeruch. Lemierre-Syndrom: Septische Thrombophlebitis der Vena jugularis, normalerweise begleitet von hohem Fieber und systemischen Symptomen. Agranulozytäre Angina: Selten, durch Agranulozytose ausgelöst, führt zu schweren Halsschmerzen und Ulzerationen.
Anamnese - Welche Fragen Stellen Sie? Bei der detaillierten Anamnese werden folgende Punkte besprochen: Beginn und Verlauf der Symptome: Seit wann bestehen die Halsschmerzen? Wie haben sie sich entwickelt? Sind sie kontinuierlich oder intermittierend? Art der Schmerzen: Sind die Halsschmerzen beim Schlucken schlimmer? Gibt es bestimmte Auslöser oder Linderungen (z.B. kalte Getränke)? Begleitsymptome: Bestehen andere Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Hautausschläge oder Lymphknotenschwellungen? Frühere Erkrankungen: Hat Herr Herrmann in der Vergangenheit häufig Halsschmerzen oder Mandelentzündungen gehabt? Soziale und familiäre Anamnese: Gibt es ähnliche Symptome bei Familienmitgliedern oder engen Kontaktpersonen? Gibt es bekannte familiäre Erkrankungen? Lebensstil und Exposition: Raucht Herr Herrmann oder ist er Passivraucher? Gab es kürzlich Reisen oder Aufenthalte in großen Menschenmengen?
Klinische Untersuchung: Welche körperlichen Befunde erheben Sie? Eine gründliche körperliche Untersuchung wird durchgeführt: Inspektion des Rachens: Deutliche Rötung und Schwellung der Tonsillen, weißliche kleinfleckige Beläge auf den Tonsillen. Palpation der Lymphknoten: Schmerzhaft vergrößerte submandibuläre und anteriore zervikale Lymphknoten. Vitalparameter: Pulmo: Frei, kein Giemen, keine Rasselgeräusche. SpO2: 98% Körpertemperatur: 36,7°C Allgemeinzustand: Leichte Abgeschlagenheit, keine Zeichen einer Atemnot oder Stridor.
Apparative Diagnostik - Benötigen Sie weitere Untersuchungen? Abhängig von den klinischen Befunden werden folgende apparative Diagnostiken indiziert: Streptokokken-Schnelltest: Aufgrund der klinischen Zeichen (Centor-Score) zur Bestätigung einer GAS-Tonsillitis. Blutuntersuchungen: Differentialblutbild und CRP: Zur Einschätzung der systemischen Entzündungsreaktion. Mononukleose-Schnelltest: Bei Verdacht auf infektiöse Mononukleose. Rachenabstrich: Bei negativem Streptokokken-Schnelltest zur weiteren mikrobiologischen Diagnostik.
Arbeitsdiagnose/ Differentialdiagnosen - Zu welchem Schluss kommen Sie nun? Basierend auf den Symptomen, der Anamnese und den klinischen Befunden wird eine Arbeitsdiagnose erstellt. Centor-Score Berechnung: Kein Husten: +1 Punkt Kein Fieber > 38°C: 0 Punkte Schmerzhaft vergrößerte zervikale Lymphknoten: +1 Punkt Tonsillenexsudat: +1 Punkt Alter 15-44 Jahre: 0 Punkte Gesamtpunktzahl: 3 Punkte Differentialdiagnosen nach Wahrscheinlichkeit: Gruppe A-Streptokokken (GAS) - Pharyngitis oder Tonsillopharyngitis: Am wahrscheinlichsten aufgrund des Centor-Scores von 3, der Beläge auf den Tonsillen und der schmerzhaften Lymphknoten. Virale Pharyngitis/Tonsillopharyngitis: Möglicherweise, da keine Fieber und Husten vorhanden sind, was häufig bei viralen Infektionen vorkommt. Infektiöse Mononukleose: Möglich, aber weniger wahrscheinlich ohne ausgeprägte Müdigkeit und systemische Symptome. Scharlach: Weniger wahrscheinlich ohne charakteristisches Exanthem und Erdbeerzunge. Epiglottitis, Diphtherie, Lemierre-Syndrom, Agranulozytäre Angina, Kawasaki-Syndrom: Sehr unwahrscheinlich aufgrund der spezifischen fehlenden Symptome und Befunde.
Weiteres Vorgehen - Welche Therapie oder welches Procedere besprechen Sie mit dem/ der Pat.? Wie sieht ihr genereller Plan aus? Analgetika: Paracetamol oder Ibuprofen zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung. Hydratation: Ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Lokale Maßnahmen: Gurgellösungen oder Lutschtabletten mit Anästhetika oder Antiseptika. Antibiotikatherapie: Bei positivem Streptokokken-Schnelltest: Penicillin V für 10 Tage, oder bei Penicillinallergie Erythromycin für 5-7 Tage. Präventive Maßnahmen: Hygiene: Regelmäßiges Händewaschen und Vermeidung enger Kontakte zu Erkrankten. Impfungen: Überprüfung und gegebenenfalls Auffrischung des Impfstatus. Nachsorge: Wiedervorstellung: Bei fehlender Besserung oder Verschlechterung der Symptome nach 3-4 Tagen. Erklärung: Aufklärung des Patienten und der Eltern über die Wichtigkeit der vollständigen Einnahme der Antibiotika und mögliche Anzeichen von Komplikationen.