Die Situation: Das Zimmer betreten die 1954 geborenen Frau J. in Begleitung Ihres Ehemannes. Frau Jantke befindet sich bereits seit vielen Jahren in Ihrer Behandlung, damit kennen Sie auch die Vorerkrankungen der Patientin. Der Ehemann kümmert sich aufopferungsvoll um die Patientin, auch wenn Sie aufgrund seiner cholerischer Art hin und wieder Ein rascher Blick auf die Diagnoseliste ruft Ihnen nochmal in Erinnerung, dass der klassischer Wernicke-Mann-Gang, in dem Frau Jantke das Zimmer betritt auf einen linksseitigen Mediainfarkt vor 3 Jahren zurückzuführen ist. Zusätzlich sind eine Hypertonie, Hypercholesterinämie, ein Diabetes mellitus Typ 2 und eine KHK mit koronarer 2-Gefäßerkrankung mit DES-Einlage vor 10 Jahren bekannt.
Der Ehemann beginnt daraufhin zu berichten, dass ihm beim waschen seiner Frau vor 2 Tagen zum ersten Mal eine dunkler Verfärbung an der linken Ferse aufgefallen ist. Zunächst habe er es für einen Fussel der Strümpfe gehalten. Da sich dieser aber nicht abwaschen lies, wollte er sich heute doch mit seiner Frau vorstellen. Die Pat. selbst kann aufgrund der begleitenden Dysarthrie wenig beitragen, lediglich, dass sie keine Schmerzen habe kann sie äußern.
Erster Eindruck - Was sind Ihre ersten Gedanken? Welche Erkrankungen/ Probleme kommen in Frage? Bereits ohne spezifische Nachfragen gestellt oder den Befund gesehen zu haben, können wir einige "educated guesses" vornehmen. Der Vorteil hierbei ist, dass wir die Patientin und ihre Vorgeschichte bereits kennen. Ins Auge fallen hierbei bereits von beginn an die Kombination aus Diabetes mellitus Typ 2 und der Prädilektionsstelle Ferse, welches besonders auf eine Diagnose hinweisen: ein Malum perforans. Hinzu kommt ein wichtiger Risikofaktor für ein Malum perforans im speziellen und einen diabetischen Fuß im Allgemeinen: Die Hemiparese (vgl. Wernicke-Mann-Gang), welcher zu einer stark ungleichmäßigen Belastung der Füße führt. Selbstredend ist auch ein Ulcus einer anderen Genese möglich, hier müsste dann aber die Frage des Grundes der Schlerzlosigkeit geklärt werden. Ferner können wir mit den wenigen Informationen auch eine Verletzung mit konsekutivem Hämatom oder gar einen Nävus oder ein Melanom nicht ausschließen.
Anamnese - Welche Fragen Stellen Sie? Wie üblich erhalten wir durch unsere Überlegungen in Punkt 1 die notwendigen Fragen um unsere Überlegungen und Verdachtsdiagnosen zu untermauern: Es sollte nochmal die Frage gestellt werden, ob der Zeitpunkt des Bestehens der Verfärbung eingegrenzt werden kann. Hat ein Sturz, ein Trauma, eine sonstige Verletzung vorgegen? Lag die Patientin in letzter Zeit länger in Rückenlage im Bett? Sind andere Beschwerden wie eine Zunahme der Lähmung oder der Hypästhesie oder eine Verfärbung oder Temperaturveränderung an den Beinen aufgefallen? Gibt es noch weitere auffällige Hautstellen? Wurden die (Diabetes-)Medikamente eingeommen? Gibt es Auffälligkeiten in der Ernährung (Vegetarisch/ Vegan als möglichen Hinweis auf einen Vitamin B12-Mangel) Die Antworten des Ehemannes und der Patientin belaufen sich auf folgendes: Der befund wurde tatsächlich erst vor 2 Tagen bemerkt, sonst hatte sich keine Veränderung im Befinden zugetragen. Keine Zunahme weiterer Beschwerden, keine weiteren auffälligen Hautstellen, keine Bettlägerigkeit, Medis wurden normal eingenommen.
Klinische Untersuchung: Welche körperlichen Befunde erheben Sie? Neben dem regulären körperlichen Befund (Herz, Lunge) scheuen wir uns natürlich den Befund an. Hier zeigt sich an der linken Ferse eine ca. 20x20mm messende, schwarze (nicht livide) verfärbte Makula der Hornhaut (siehe Bild 1), welche sich bereits bei leichter Manipulation mit dem Finger löst. Darunter kommt ein etwa 10x10mm messendes, leicht livides Ulcus mit unregelmäßigem Wundrand zum Vorschein. Noch immer wird kein Schmerz berichtet. Keine Blutung, kein Wundsekret. Keine Frakturzeichen. Festes Auftreten ist möglich. Der Rest des Beines erscheint bis auf leichte Unterschenkelödeme unauffällig, Wells-Score für TVT bei 0 Pkt, Wichtig ist hier noch die Testung der Pallästhesie an beiden Beinen, welche an beiden Großzehengrundgelenken 4/8 ergeben.
Apparative Diagnostik - Benötigen Sie weitere Untersuchungen? Falls länger nicht geschehen (was bei einem im DMP für Diabetes mellitus Typ 2 nicht passieren sollte), kann eine erneute Bestimmung von HbA1c und Nüchtern-Glucose erfolgen. Sollte sich hier keine Auffälligkeit ergeben oder ein genereller Zweifel an der Diabetesdiagnose als Grund für das Ulcus bestehen, können hier noch weitere Parameter bestimmt werden, welche eine Polyneuropathie auslösen können. (vgl. AWMF-Leitlinie zur Polyneuropathie). Sollte sich in den bisherigen Maßnahmen kein Hinweis auf die Genese der Beschwerden ergeben, Ist in dem entsprechenden Alter der Patientin auch einie Tumorsuche (Polyneuropathie als paraneoplastisches Syndrom) möglich. Hierzu bieten sich (zumindest beginnend) eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen sowie eine Sonographie des Abdomens an. Sollte das genaue Ausmaß der Fersenläsion, besonders in der Tiefe, nicht ganz klar werden, kann auch eine Röntgenaufnahme des linken Rückfußes zur Fragestellung nach eventuell bereits vorliegenden Knochenläsionen in Erwägung gezogen werden.
Arbeitsdiagnose/ Differentialdiagnosen - Zu welchem Schluss kommen Sie nun? Nach der erhobenen Anamnese und den erhobenen Befunden kommt im vorliegenden Fall a.e. ein Malum perforans durch eine Polyneuropathie bei Diabetes mellitus Typ 2 in Frage. Der HbA1c ist uns im aktuellen Fall zwar unbekannt, kann aber leicht nachbestimmt werden. Alternativ kann hierbei auch an ein Ulcus cruris bei jeder anderen Form der Polyneuropathie gedacht werden. Eine Verletzung ist zwar bei keinem erinnerlichen Trauma zwar denkbar aber eher unwahrscheinlich (keine Demenz bekannt), sollte aber trotzdem im Hinterkopf behalten werden.
Weiteres Vorgehen - Welche Therapie oder welches Procedere besprechen Sie mit dem/ der Pat.? Wie sieht ihr genereller Plan aus? Das Vorgehen am Tag der Vorstellung sollte beinhalten: eine Blutentnahme zur bestimmung des HbA1c bzw. weiteren Parametern als Auslöser einer Polyneuropathie; eine Fotodokumentation des Befundes zum Vergleich des Fortschrittes für zukünftige Behandlungen; (die Ausstellung einer Verordnung für) die Anpassung orthädischen Schuhwerkes zur Druckentlastung und Prävention; falls nicht vorhanden, die Rezeptierung medizinischer Fußpflege sowie die allgemeine Aufklärung von Patientin und Ehemann zur Entstehung und möglichen Komplikationen. Der Pat. muss klar sein, dass eine Zunahme des Befundes unter den ergriffenen Maßnahmen nicht bis zum nächsten regulären Termin Zeit hat (Die Pat. spürt ja nichts, hat also auch keinen Leidensdruck), sondern bitte zu einer raschen Wiedervorstellung in Ihrer Akutsprechstunde führen muss! Das generelle Vorgehen mit der Patientin liegt der korrekten Einstellung des Blutzuckers (aus die Details der Diabetes mellitus Typ 2 -Therapie wird an dieser Stelle nicht eingegangen) bzw. das Erkennen und Behandeln anderer Ursachen der Polyneuropathie. Der spezifische Grund für das Malum/ Ulcus, also die nicht bemerkte Druckbelastung, muss unter der Entlastung durch die verordneten Schuhe und Einlagen regelmäßig eine ärztliche Kontrolle des Fußstatus stattfinden (vgl. hierzu auch die Inhalte des DMP für Diabetes mellitus Typ 2).