Die Situation: Herr Wilhelm Pfeiffer betritt am Freitag Nachmittag nach der Akutsprechzeit abgehetzt ihr Sprechzimmer. Er entschuldigt sich, dass er erst so spät kommt. "Ich bemerke schon seit einigen Wochen, dass meine Sehkraft abnimmt, aber heute habe ich in der Uni versucht meine Prüfung zu schreiben und habe plötzlich alles doppelt gesehen. Jetzt habe ich schon ein bisschen Angst, was da nicht stimmt."
Erster Eindruck - Was sind Ihre ersten Gedanken? Welche Erkrankungen/ Probleme kommen in Frage? Die „Big Five“ Differentialdiagnosen für Sehstörungen und Doppelbilder sind Schlaganfall (insbesondere Hirnstamminfarkt), intrakranielle Blutung, akutes Koronarsyndrom (ACS) mit neurologischen Symptomen, Multiple Sklerose (MS) und Myasthenia gravis. Weitere wichtige Differentialdiagnosen umfassen Migräne mit Aura, Arteriitis temporalis, Hirntumor, Diabetes mellitus mit diabetischer Retinopathie, hypertensive Krise und endokrine Orbitopathie (Morbus Basedow).
Anamnese - Welche Fragen Stellen Sie? Eine gründliche Anamnese ist entscheidend, um die möglichen Ursachen für Herr Pfeiffers Symptome weiter einzugrenzen. Wichtige Fragen, die gestellt werden sollten, umfassen: Seit wann bestehen die Beschwerden, und wie haben sie sich entwickelt? Haben Sie schon einmal ähnliche Symptome erlebt? Gibt es Auslöser, die die Symptome verschlimmern oder verbessern? Gibt es Begleitsymptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Taubheitsgefühle oder Sprachstörungen? Haben Sie Vorerkrankungen wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie oder eine bekannte Schilddrüsenerkrankung? Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein, insbesondere Blutdrucksenker, Blutverdünner oder andere Herzmedikamente? Gibt es in Ihrer Familie eine Geschichte von Herzkrankheiten oder plötzlichem Herztod? Haben Sie in letzter Zeit psychischen Stress oder körperliche Anstrengungen erlebt? Herr Pfeiffer berichtet, dass die Beschwerden vor etwa zwei Wochen schleichend begonnen haben. Die plötzlichen Doppelbilder traten heute erstmalig auf. Er hat keine ähnliche Episode in der Vergangenheit erlebt. Die Beschwerden wurden nicht durch spezielle Auslöser verschlimmert oder verbessert. Er hat gelegentlich leichte Kopfschmerzen, aber keine Übelkeit, Schwäche oder Taubheitsgefühle. Er hat keine bekannten Vorerkrankungen und nimmt keine Medikamente ein. Seine Familienanamnese ist unauffällig, und er hat in letzter Zeit keine besonderen Stressoren oder körperliche Anstrengungen erlebt.
Klinische Untersuchung: Welche körperlichen Befunde erheben Sie? ie klinische Untersuchung sollte systematisch erfolgen und kann Hinweise auf die zugrunde liegende Ursache der Beschwerden geben. Die Untersuchung des Allgemeinzustands umfasst die Vitalzeichen (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Temperatur, Sauerstoffsättigung). Beim Herz-Kreislauf-System werden Herzgeräusche, Rhythmus, Pulsqualität und Zeichen einer Herzinsuffizienz (z.B. Ödeme, Halsvenenstauung) überprüft. Beim respiratorischen System sind Atemgeräusche, Zeichen einer Dyspnoe und periphere Zyanose relevant. Beim Abdomen wird nach Druckschmerz, Abwehrspannung und Zeichen einer gastrointestinalen Ursache gesucht. Das muskuloskelettale System wird auf Druckschmerz im Brustbereich und Zeichen einer muskoskelettalen Ursache hin untersucht. Schließlich wird das neurologische System auf Bewusstseinslage und neurologische Defizite überprüft. Bei Herr Pfeiffer zeigen sich folgende Befunde: Seine Vitalzeichen sind unauffällig mit einem Blutdruck von 125/80 mmHg, einem Puls von 72/min und einer Atemfrequenz von 14/min. Es gibt keine Anzeichen einer Herzinsuffizienz oder Atemnot. Neurologisch zeigt er eine eingeschränkte Augenmotilität mit sichtbarem Exophthalmus, was auf eine mögliche endokrine Orbitopathie hinweist. Seine Pupillen reagieren prompt auf Licht, und es gibt keine weiteren neurologischen Defizite.
Apparative Diagnostik - Benötigen Sie weitere Untersuchungen? Aufgrund der Symptomatik und der Differentialdiagnosen sollten folgende diagnostische Tests durchgeführt werden: Ein EKG zur Erkennung ischämischer Veränderungen, Rhythmusstörungen oder anderer Herzprobleme. Blutuntersuchungen, einschließlich Schilddrüsenhormone (TSH, fT3, fT4) und Schilddrüsenantikörper (TRAK). Ein MRT des Gehirns zur Ausschluss von Schlaganfall oder intrakraniellen Tumoren. Eine augenärztliche Untersuchung zur Beurteilung des Exophthalmus und zur weiteren Differenzierung der Sehstörung.
Arbeitsdiagnose/ Differentialdiagnosen - Zu welchem Schluss kommen Sie nun? Nach der initialen Diagnostik zeigen sich keine eindeutigen EKG-Veränderungen, und die Blutuntersuchungen zeigen einen erhöhten TSH-Wert sowie erhöhte TRAK-Werte. Das MRT des Gehirns ist unauffällig und zeigt keine Anzeichen eines Schlaganfalls oder eines Tumors. Die augenärztliche Untersuchung bestätigt den Exophthalmus. Basierend auf diesen Ergebnissen und der klinischen Präsentation ordnen wir die Differentialdiagnosen wie folgt: Eine endokrine Orbitopathie bei Morbus Basedow ist sehr wahrscheinlich aufgrund des Exophthalmus und der erhöhten Schilddrüsenantikörper. Ein Schlaganfall ist weniger wahrscheinlich aufgrund eines unauffälligen MRTs. Eine intrakranielle Blutung ist unwahrscheinlich aufgrund des unauffälligen MRTs. Ein akutes Koronarsyndrom (ACS) ist unwahrscheinlich aufgrund des unauffälligen EKGs und fehlender typischer Symptome. Multiple Sklerose (MS) ist unwahrscheinlich aufgrund fehlender typischer Symptome und eines unauffälligen MRTs. Myasthenia gravis ist weniger wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Weiteres Vorgehen - Welche Therapie oder welches Procedere besprechen Sie mit dem/ der Pat.? Wie sieht ihr genereller Plan aus? Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer endokrinen Orbitopathie bei Morbus Basedow wird die Patientin einer spezialisierten Therapie zugeführt. Die initiale medikamentöse Behandlung umfasst die Gabe von Thyreostatika wie Thiamazol in einer initialen Dosis von 10-20 mg/Tag zur Hemmung der Schilddrüsenhormonproduktion. Beta-Blocker wie Propranolol werden in einer Dosis von 20-40 mg drei Mal täglich zur Kontrolle der Herzfrequenz und Reduktion von Symptomen wie Zittern eingesetzt. Kortikosteroide wie Prednisolon werden initial in einer Dosis von 30-60 mg/Tag zur Reduktion der Entzündung und des Exophthalmus verabreicht. Eine regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenwerte und Anpassung der Medikation ist notwendig. Langfristig könnte eine definitive Therapie wie eine Radiojodtherapie oder eine Schilddrüsenoperation in Erwägung gezogen werden. Die Prognose hängt von der Schwere der Erkrankung und dem Ansprechen auf die Therapie ab. Bei frühzeitiger und adäquater Behandlung ist die Prognose im Allgemeinen günstig. Hygienemaßnahmen umfassen die Vermeidung von Rauchen und die Optimierung des allgemeinen Gesundheitszustands. Durch die detaillierte Anamnese, gezielte klinische Untersuchung und die richtige apparative Diagnostik konnte die Diagnose einer endokrinen Orbitopathie bei Morbus Basedow bei Herr Pfeiffer gestellt werden, wodurch eine rechtzeitige und effektive Behandlung eingeleitet wurde.