Die Situation: Nach einer Wartezeit von ca. 30 Minuten kommt die 27-jährige Frau Jeanette Habicht offensichtlich schmerzgeplagt ins Sprechzimmer. Sie berichtet über Kopfschmerzen seit gestern Mittag. Aufgrund dieser Schmerzen hat sie heute auch nicht zur Arbeit gehen können und bittet um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auf Nachfrage erfahren wir, dass diese Kopfschmerzattacken in den letzten Monaten deutlich zugenommen haben, eine ärztliche Klärung dieser Beschwerden hat es bisher nicht gegeben.
Erster Eindruck - Was sind Ihre ersten Gedanken? Welche Erkrankungen/ Probleme kommen in Frage? Aufgrund der anfänglichen Geschichte kommen mehrere Differentialdiagnosen in Betracht. Die möglichen Diagnosen umfassen Spannungskopfschmerz, Migräne, Clusterkopfschmerz, paroxysmale Hemikranie, SUNCT-Syndrom und sekundäre Kopfschmerzen wie zervikogener Kopfschmerz oder medikamenteninduzierte Kopfschmerzen. Auch eine Sinusitis könnte in Betracht gezogen werden.
Anamnese - Welche Fragen Stellen Sie? Um die Beschwerden von Frau Habicht besser einordnen zu können, ist eine gründliche Anamnese notwendig. Zunächst stellen wir allgemeine Fragen: Seit wann leiden Sie unter den Kopfschmerzen? Wie häufig treten die Kopfschmerzen auf? Können Sie die Intensität und die Art des Schmerzes beschreiben (dumpf, stechend, pochend)? Haben Sie andere Symptome bemerkt, wie Übelkeit, Erbrechen oder Sehstörungen? Gibt es bestimmte Auslöser für die Kopfschmerzen (z.B. Stress, bestimmte Nahrungsmittel, Schlafmangel)? Frau Jeanette berichtet, dass die Schmerzen bitemporal und okzipital lokalisiert sind. Sie verspürt eine leichte Photophobie, aber keine Phonophobie. Sie hat keine Übelkeit und kein Erbrechen. Ihr Job als Softwareentwicklerin ist überwiegend sitzend, und sie treibt kaum Sport.
Klinische Untersuchung: Welche körperlichen Befunde erheben Sie? Eine gründliche körperliche Untersuchung wird durchgeführt, um andere mögliche Ursachen der Kopfschmerzen auszuschließen. Die allgemeinen Untersuchungen umfassen die Messung der Vitalzeichen wie Blutdruck, Puls, Temperatur und Atmung. Eine Inspektion und Palpation des Kopf- und Halsbereichs wird durchgeführt, um mögliche Auffälligkeiten wie Nackensteifigkeit oder Druckschmerz entlang der Temporalarterien zu erkennen. Eine neurologische Untersuchung wird durchgeführt, um die Hirnnerven, Motorik und Sensorik, Reflexe sowie die Koordination und das Gleichgewicht zu überprüfen. Bei Frau Jeanette sind jedoch keine wesentlichen Befunde zu erheben. Besonders auffällig ist das Fehlen vegetativer Symptome wie Naselaufen, Tränenlaufen, Flush oder unilaterale Hyperhidrose im Gesicht.
Apparative Diagnostik - Benötigen Sie weitere Untersuchungen? In diesem Fall sind zunächst keine invasiven oder bildgebenden Verfahren erforderlich, da keine alarmierenden Symptome vorliegen, die auf eine sekundäre Ursache hinweisen. Jedoch könnten folgende diagnostische Maßnahmen bei anhaltenden oder sich verschlimmernden Symptomen in Betracht gezogen werden: MRT oder CT des Kopfes: Bei Verdacht auf strukturelle Anomalien oder Tumoren. Blutuntersuchungen: Zur Ausschlussdiagnostik von Infektionen oder Entzündungen. Augenärztliche Untersuchung: Bei Verdacht auf Augenerkrankungen oder erhöhten Augeninnendruck. Orthopädische Untersuchung der Halswirbelsäule: Bei Verdacht auf zervikogenen Kopfschmerz.
Arbeitsdiagnose/ Differentialdiagnosen - Zu welchem Schluss kommen Sie nun? Auf Grundlage der erfahrenen Befunde und der Anamnese ergibt sich die Arbeitsdiagnose Spannungskopfschmerz. Die Differentialdiagnosen werden nach Wahrscheinlichkeit geordnet: Spannungskopfschmerz: Höchste Wahrscheinlichkeit aufgrund der Lokalisation (bitemporal und okzipital), leichte Photophobie, keine Übelkeit oder Erbrechen. Migräne: Weniger wahrscheinlich aufgrund des Fehlens von Phonophobie, Übelkeit und Erbrechen sowie einer typischen halbseitigen Schmerzlokalisation. Clusterkopfschmerz: Sehr unwahrscheinlich, da keine vegetativen Symptome (Tränenlaufen, Naselaufen) und keine unilateralen Schmerzen vorhanden sind. Paroxysmale Hemikranie: Unwahrscheinlich, da die Anfälle kürzer sind und häufiger auftreten sowie oft mit vegetativen Symptomen einhergehen. SUNCT-Syndrom: Sehr unwahrscheinlich, da es sich durch extrem kurze, aber häufige Kopfschmerzattacken und deutliche vegetative Begleitsymptome auszeichnet. Sekundäre Kopfschmerzen: Unwahrscheinlich, da keine Hinweise auf zervikale Probleme oder systemische Erkrankungen vorliegen. Sinusitis: Weniger wahrscheinlich, da keine typischen Symptome wie Nasenverstopfung oder Druckschmerz über den Sinus vorliegen.
Weiteres Vorgehen - Welche Therapie oder welches Procedere besprechen Sie mit dem/ der Pat.? Wie sieht ihr genereller Plan aus? Akutbehandlung Zur akuten Schmerzlinderung werden Analgetika wie Ibuprofen oder Paracetamol empfohlen. Entspannungsübungen wie progressive Muskelrelaxation oder Yoga können zur Reduktion der muskulären Anspannung beitragen. Langfristige Maßnahmen Ergonomische Anpassungen am Arbeitsplatz sind wichtig, um eine korrekte Sitzhaltung zu fördern. Frau Jeanette sollte regelmäßig kurze Pausen während der Arbeit einlegen, um muskuläre Verspannungen zu vermeiden. Regelmäßige körperliche Aktivität, wie z.B. Yoga oder Spaziergänge, kann die allgemeine körperliche Fitness und die Stressresistenz erhöhen. Techniken zur Stressbewältigung wie Meditation, Achtsamkeitstraining oder eine Psychotherapie bei chronischem Stress können ebenfalls hilfreich sein. Prävention Eine gute Schlafhygiene ist entscheidend. Frau Jeanette sollte regelmäßige Schlafzeiten einhalten und ein entspannendes Abendritual entwickeln, um die Schlafqualität zu verbessern. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann Dehydrierung vermeiden, die Kopfschmerzen begünstigen kann. Eine ausgewogene Ernährung und die Vermeidung von möglichen Auslösern wie Koffein oder Alkohol sind ebenfalls wichtig. Der Patientin wird empfohlen, ein Kopfschmerztagebuch zu führen, um Auslöser und Häufigkeit der Kopfschmerzen besser zu identifizieren und die Effektivität der Behandlung zu überwachen. Bei anhaltenden oder sich verschlimmernden Symptomen sollte eine weitergehende diagnostische Abklärung erfolgen.